M. Stuber: Wälder für Generationen

Cover
Titel
Wälder für Generationen. Konzeptionen der Nachhaltigkeit im Kanton Bern (1750–1880)


Autor(en)
Stuber, Martin
Reihe
Umwelthistorische Forschungen, Bd. 3
Erschienen
Köln 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
394 S.
Preis
€ 47,90
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Lüthi, Universitätsbibliothek Bern

1996 hat Martin Stuber seine Dissertation bei Prof. Christian Pfister an der Universität Bern abgeschlossen, er publizierte sie 1997 in den Beiheften der «Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen». Elf Jahre später ist seine Arbeit nun in überarbeiteter Form in einem renommierten deutschen Wissenschaftsverlag erschienen. Martin Stuber untersuchte die forstwirtschaftlichen Konzeptionen im Kanton Bern zwischen 1750 und 1880. Um 1750 verschärfte sich die Holzknappheit im bernischen Territorium. Dies führte zu Diskussionen und Reformen in der Waldnutzung. Einleitend präsentiert Stuber einen fundierten Überblick zur Geschichte des Begriffs Nachhaltigkeit, der 1806 in der Schweiz erstmals verwendet wurde und der mit dem Bericht «Our common future», den die Vereinten Nationen 1987 publizierten, eine neue Aktualität erhielt. Der Bericht fordert, nur so viel Ressourcen zu verbrauchen, wie die Natur der Menschheit laufend zur Verfügung stellt, und nicht auf Kosten künftiger Generationen fossile Energieträger und andere Ressourcen zu konsumieren. Martin Stuber stützt seine Arbeit auf zeitgenössische Schriften von Forstfachleuten, auf Gesetze und Verordnungen und auf Verwaltungsberichte kantonaler Behörden. Die Arbeit untersucht erstens die Problemwahrnehmung der Forstexperten im geschilderten Zeitraum, zweitens die propagierten Lösungsstrategien und drittens die politisch-administrative Umsetzung dieser Strategien und dazugehörender Massnahmen.

Im Ancien Régime waren der Holzversorgung enge naturräumliche Grenzen
gesetzt: Holz konnte auf dem Landweg höchstens über 15 Kilometer (Brennholz) respektive 30 Kilometer Distanz (Bauholz) rentabel transportiert werden. Auf Flüssen war es hingegen möglich, Holz über grössere Distanzen zu verschieben. Doch Flüsse waren nicht überall in der gewünschten Richtung vorhanden. Ferner waren die Eigentumsverhältnisse an den Wäldern oft kompliziert. Neben der Obrigkeit besassen auch Gemeinden Wälder. Zudem hatten Gemeindebürger teilweise Nutzungsrechte, die mit den Interessen der Eigentümer in Konflikt standen.

Der Autor gliedert den untersuchten Zeitraum in drei Phasen, die er anhand
der vorherrschenden Konzeptionen der Forstfachleute voneinander abgrenzt. Ab 1750 bestimmten aufgrund der sich verschärfenden Energiekrise die Ökonomischen Patrioten die Waldnutzungskonzepte. Zu ihnen zählten Samuel Engel (1702–1784) und Niklaus Emanuel Tscharner (1727–1794). Sie plädierten dafür, die Holzproduktion durch verbesserte Anbaumethoden und Regelungen zu optimieren und Holz zu sparen durch die Verwendung besserer Öfen. Ausserdem propagierten sie, Hausdächer mit Ziegeln statt mit Schindeln zu decken, Hecken statt Holzzäune zu errichten und Torf oder Steinkohle zu verwenden. Ihre Reformen scheiterten, da die bernische Obrigkeit nicht genügend Machtbefugnisse in der Landschaft hatte, um die Vorschriften des Staates durchzusetzen.

Ab 1830 bestimmten die Liberalen die forstwirtschaftlichen Konzepte im Kanton Bern. Ihr wichtigster Vertreter war Karl Kasthofer (1777–1853). Die Liberalen propagierten die Einführung der Marktwirtschaft und die Deregulierung bei der Holzproduktion. Gestützt auf die Theorien von Adam Smith sahen sie im Markt das beste Instrument, um über eine freie Preisbildung eine nachhaltige Nutzung der Wälder zu erreichen. Sie plädierten für eine rationale Buchführung bei der Holzproduktion, um die Wälder bezogen auf ihr naturräumliches Potenzial optimal zu nutzen. Die Reformen der Liberalen wurden nach dem politischen Umsturz von 1830/31 nur zum Teil umgesetzt. Der Staat deregulierte zwar die Forstwirtschaft, verzichtete jedoch auf weitere propagierte Aktivitäten wie die Ausbildung von Forstfachleuten oder die Oberaufsicht über die Gebirgswälder. Dies führte zu einer starken Übernutzung der Wälder.

Um 1850 ist ein Paradigmenwechsel in der Forstliteratur festzustellen; nun
bestimmten die Konzeptionen des Naturhaushaltes die bernische Forstwirtschaft. Ausgehend von einer neuen Wahrnehmung des Waldes und vor dem Hintergrund der Übernutzung sowie von Überschwemmungen des Flachlandes in der Schweiz plädierte die neue Schule, den Wald in den Alpen als Schutzwald zu bewahren. Dazu waren Aufforstungen nötig und eine nachhaltige Waldnutzung im heutigen Sinn auf einer konstanten Waldfläche. 1876 setzte der Bund das eidgenössische Forstgesetz in Kraft, das auf der Konzeption des Naturhaushaltes basierte und den Wald unter Schutz stellte. Gleichzeitig entschärfte der Eisenbahnbau die Übernutzung der Wälder, da die Bahn den Import von Kohle in grossen Mengen und zu günstigen Tarifen ermöglichte. Ohne diese externen Massnahmen wäre das Problem kaum lösbar gewesen: Noch 1885 wurde in allen Kantonsteilen mehr Holz geschlagen als nachwuchs.

Martin Stuber legt mit seiner Publikation eine theoriegeleitete Forschungsarbeit vor, die gut strukturiert ist und immer wieder Zwischenergebnisse enthält. Der Band umfasst auch einige Wiederholungen, die die Lektüre punktuell etwas erschweren. Martin Stuber bettet seine Erkenntnisse zudem in die umweltgeschichtliche Literatur vor allem des deutschen Sprachraums ein. Dadurch ist es möglich, Besonderheiten der bernischen Entwicklung im internationalen Vergleich herauszuarbeiten. Das Buch ist zweifellos ein Standardwerk zur bernischen Forstgeschichte, das allen zur Lektüre empfohlen ist, die sich mit dem Wald und seiner Nutzung im Kanton Bern im 18. und 19. Jahrhundert beschäftigen. Seine Studie hat durch die Debatten der letzten Jahre rund um die Energieversorgung mit fossilen Brennstoffen eine hohe Aktualität bekommen. Die neuste Entwicklung zeigt, dass das Grundproblem einer nachhaltigen Energieversorgung bis heute nicht gelöst ist.

Zitierweise:
Christian Lüthi: Rezension zu: Stuber, Martin: Wälder für Generationen. Konzeptionen der Nachhaltigkeit im Kanton Bern (1750–1880), Köln, Böhlau, 2008 (Umwelthistorische Forschungen, Bd. 3), 394 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 71, Nr. 2, Bern 2009, S. 61f.

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Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 71, Nr. 2, Bern 2009, S. 61f.

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